Zu Ehren von Carl
Sein Augenzwinkern
Eine journalistische Gouache
Zu befreien ist überdies ein Paradiesvogel
Von Horst Kniese
Einleitung:
Im Sparkassen-Karree wird im April 2010 mit einer Ausstellung aktuelle Kunst-Archäologie betrieben. Die Vorgeschichte dehnt sich über Jahrzehnte aus.: Dabei stiehlt sich ein lustiges Augenzwinkern ins Erinnerungsspiel. Von Lächeln umstrahlt, tauchte es sofort auf, als Randi Crott, die Funk-Lady des WDR und Nichte des Multi-Künstlers Carl, anrief und sich für eine Ausstellung der Wiederentdeckung einsetzte. Viele Details sind im Erinnerungsdunst der Jahrzehnte im Schemenhaften fast verschwunden. Dieses Augenzwinkern bricht jedoch immer hervor. Es funkelte im Original, als Herbert Böhme (1), der Städtebau-Freund des Malers und Bildhauers, ins Schwärmen geriet über eine seiner Landschaften. Die Auswahl der Arbeiten war bestimmt für die einzige Einzelausstellung des Künstlers im Karl-Ernst- Osthaus-Museum in Hagen im Jahre 1989. Erschrocken und etwas geschmeichelt war meine Reaktion auf diese Geste der unmissverständlichen Vertrautheit. Dabei hatte der ehemalige Stadtbaurat recht mit seiner Ermutigung. Der Mann sollte seine spontane Kunst nicht unter den Scheffel stellen.
Hagen. Etliche Jahrzehnte davor: Er war von wütendem Fleiß wie besessen, zugleich verschlossen und doch voller Bekenntnisse, wenn einmal die Schleusen geöffnet wurden. Trends waren ihm zuwider, irgendwie „Mode“. Ein Rätsel blieb er immer. Kunst war für ihn nicht deutsch. Sondern international. Einmal versuchte er die Türen seines lchs ein wenig zu öffnen. Schon in ganz früher Zeit. Der noch nicht formulierte Begriff „multikulturell“ hätte für ihn erfunden werden müssen. Da war er schon ein reifer Mann: kernig, eigenwillig und trotzdem offen für Zeichen der Zeit. Aber auch voller Lebensfreude. Der Mann hieß Carl Baumann. Auf das „C“ im Vornamen legte er wert. Er war durch und durch Individualist.
Es herrschte in der kleinen Galerie eine fiebrige Erwartungsstimmung, als dieser Künstler sich der schon längst einen Namen hatte, ins Rampenlicht begab. Das war nicht durch Beleuchtung grell, sondern durch die Staus der Erwartungen. Anfang Mai 1968 war in der Galerie Hagenring (2), die sich damals im Haus Becker & Köhler, einem gehobenen Tapetengeschäft, befand, fast ein vermeintlicher Wendepunkt seiner vitalen Karriere. Dass es die erste Einzelausstellung eines schon bekannten Künstlers werden sollte, erschien dem Hagener Kunstpublikum fast grotesk. Ich fand es damals ebenfalls erstaunlich, dass so ein erfolgreicher Mann mit den Bewegungen eines Sportlers, der einen Großteil seiner Energien bislang in „Kunst am Bau“ investiert hatte, erst in reiferen Jahren einer Einzelausstellung zustimmte. Er war nun mal ein Künstler ohne jede Eitelkeit. Und immer abwehrend, wenn es um persönliche Ehren ging. Die tragenden Elemente seiner durchaus experimentellen Kunst wurden jedem Besucher deutlich sichtbar, wirkten in den Jahrzehnten darauf weiter fort und sollten sich weiterentwickeln.
Baumann suchte damals die Ausgangspunkte bei einer individuellen Symbolik, die eine deutliche Distanz zu all den aktuellen künstlerischen Vorgängen, die meist intellektuelle Reize verarbeiteten, erkennen ließ. Das ist schon in den 60ern Jahren durchaus bemerkt worden in der übernervösen Kunstszene. Der Künstler wollte sich aus Überzeugung nicht den allgemeinen modernen Trends überlassen, sondern mied sie als wären sie Minenfelder. Über seine virtuose Technik schrieb ich damals: „Seine symbolhaften Collagen wie seine ,Gemälde‘, für die er eigenwillige Materialien wie Asphalt, Teer und Sand benutzt, verraten den Könner.“ Er war in dieser Hinsicht ein Pionier der ausgefallenen Techniken und vielen anderen voraus.
Dieses Streiflicht aus einer Zeit, in der den Kennern schon fast alles klar war um den erfolgreichen Kurs des späteren Hausbesitzers an der Steubenstraße, vorzuzeichnen, leuchtet hinein in das emsige, grüblerische, meditative Leben des Vollblutkünstlers Carl Baumann, dem zwei Namen immer im Kopf umherschwirrten. Der Mäzen Karl Ernst Osthaus war ihm als Begriff schon durch einen pedantischen Osthaus-Zeitgenossen buchstäblich eingeimpft worden. Der, nämlich, sein Künstlerkollege und auch Berufschullehrer August Müller-Lamberty, brachte ihn im Jahr 1929 zum Niederländer Jan Thorn Prikker in den Kölner Werkstätten, wo er das phantasievolle Experimentieren lernte. Zur Anmerkung: Osthaus hatte Thorn Prikker in Hagen in einer Jugendstil-Villa am Stirnband angesiedelt und für seine künstlerische Entfaltung gesorgt. Auch war Thorn Prikker Autor des imposanten Glasbildes im Hagener Hauptbahnhof.
Des Niederländers plastische Kompositionen, die noch Reste des Jugendstils verarbeiteten, lebten nun im modern abgewandeltem Symbolismus in Baumanns „Kunst am Bau“ weiter und wurden auch zu baulichen Markenzeichen einer typischen Architekturvariante unzähliger Bauten der Deutschen Bundespost, denen er seine persönlichen Akzente dominierend beimischte. Nützliche Eindrücke hatte Baumann im Nazijahr 1936 in der Berliner Akademie von Bildhauer Ludwig Gies und Landschaftsmaler Franz Lenk buchstäblich aufgesogen, die sich dort lange behaupteten trotz ihrer spürbaren Distanz zur braunen Kunstideologie.
In der dramatischsten Phase seines Lebens ging es um Leben und Tod. Als Soldat bekam Baumann „Urlaub zur Weiterbildung“ an der Berliner Akademie und geriet unwissentlich in Kontakt mit einer Widerstandsgruppe, die von den braunen Fahndern „Rote Kapelle“ genannt worden war. Über seine nachträgliche grausame Gestapohaft und seinen Zwangsaufenthalt im späteren Kriegsverbrechergefängnis in Spandau hat er nur ungern gesprochen. Es folgten nach der Haftentlassung ein Frontkommando und sein Entrinnen in den Turbulenzen des Zusammenbruchs der Diktatur. Künstlerisches Fazit und individuelles Nebenprodukt des Grauens: Seine Tempera-auf-Nesselarbeit, als er die nachdenkliche Gruppe der Schlüsselfiguren der „Roten Kapelle“ porträtierte. Die Arbeit erregte im Juli 1991 als „Kunstwerk des Monats“ im Westfälischen Landesmuseum in Münster wenigstens europäisches Dimension. Seine Bleistiftzeichnung aus dem Jahre 1947, als er die Wiederaufbauarbeiten am von Hieronymus Nath stilvoll entworfenen beschädigten Hagener Rathaus von Hagen meisterhaft skizzierte, stellt seine weitere Verbindung zur (Zeit-)Geschichte her, wenn auch in lokaler Verengung. Den Weg von Wehringhausen, wo er 1912 geboren wurde, durch die Trümmer zum Rathaus legte er wahrscheinlich zu Fuß zurück. Am 7.7.1996 ist er gestorben. Er wurde 84 Jahre alt.
Die von Randi Crott stimulierte Ausstellung im Sparkassen-Karree deutet hoffentlich auf ein größeres Ereignis in zwei Jahren hin, wenn 90 Jahre von seiner Geburt an verstrichen sind. Die Erinnerung muss schon jetzt sein. Und ist von Freunden immer erträumt worden. Vergesslichkeit ist ein schleichender Prozess und schreit nach Unterbrechung. „Die Crott“, selbst bedeutende Autorin und Moderatorin im Bereich der Funkmedien, hat damit als Nebenwirkung erreicht, dass wieder Nervenfäden bloßgelegt werden, die im westdeutschen Kunstleben der unmittelbaren Nachkriegszeit und kurz danach vibrierten.
Zwei zwiespältige Erfahrungen hat Car Baumann noch zu Lebzeiten gemacht: Zu einem großen Ausstellungsereignis im Karl-Ernst-Osthaus-Museum 1989 musste Carl Baumann von seinem Freund, dem Hagener Stadtbaurat a.D. Dipl.-Ing. Herbert Böhme, wie in der Einleitung angedeutet, buchstäblich mit phantasievoller List gedrängt werden. Das wiederholte sich drei Jahre später 1992 bei der Elektromark. Das positive Echo erreichte trotz einer Zusammenballung verschiedener Energien nur die lokalen Ufer. Das Museumsteam ließ sich nur widerwillig einbinden. Es war halt Kunst wider den Trend. Und ein wenig abseits davon.
Es steht noch eine Befreiungsaktion aus. Der „Paradiesvogel“, eine leuchtende Mosaikarbeit Baumanns aus dem Jahr 1961 im Foyer des Hagener Stadttheaters, damals geradezu umjubelt, ist seit Jahrzehnten unter einer Holzschicht „gefangen“. Mehrere Intendanten bis heute benutzen die Fläche für Ankündigungen und spielten wohl so zu Ehren der „,Lustigen Witwe“- trotzige „Banausenrollen“, wahrscheinlich mit bohrendem schlechten Gewissen. Der Zweck verdrängte damals und heute Kunst und nimmt sie immer noch in Haft. Der Freund Baumanns, der fast schon legendäre Stadtplaner a. D. Herbert Böhme, hat sich über den „Frevel“, wie er es empfand, über Jahre maßlos erregt und ist darüber gestorben. Die Intendanten blieben Sieger. Archäologie wird so zur theaterinternen Aufgabe. Wie wäre es, wenn Bühnenbildner, die unzweifelhaft auch zur „Zunft“ der bildenden Kunst zählen, den wechselnden Intendanten im Theaterrund andere Flächen aufspürten und einfallsreich gestalteten? Für attraktive Information. Die Neuentdeckung des dann „ausgegrabenen“ bunten fröhlichen „Paradiesvogels“ wäre fast ein Theaterereignis. Heitere Szenen kann Carl Baumann auch posthum gebrauchen. Museen und Theater haben dafür ebenfalls ständig „Bedarf“. Für Hagen wäre der vitale Baumann auch so eine Wiederentdeckung! Der widerborstige und lebensfrohe vitale Kraftmensch, der zeitlebens so nebenher mit dem Image-Gespenst der „Roten Kapelle“ als ein Hauch von damals modischem „Kommunisten-Verdacht“ abwehrend streiten musste, gehört nicht als Gespenst, wohl aber als attraktive Sondererscheinung, überhaupt nicht als Sonderling, zum dauernden Ambiente der überreichen Hagener Kunstszene. Ein Schub, wie der von Randi Crott, mehr als eine „Dosis, befördert Baumann“ in das Stadtbewusstsein von Hagen und würde es bereichern. Nicht nur der Vollständigkeit halber, sondern als historischer Bestandteil der Hagener Kunstszene.
Anmerkungen zur Abschrift
Dieses ist eine am 3.2.2021 erstellte Abschrift eines Essays des Hagener Journalisten Horst Kniese (1926-2020). Aufgefunden in seinem journalistischen Nachlass über Hagener Künstler. Anlass des Essays war eine Ausstellung mit Werken Carl Baumanns im Sparkassen-Karree der Hagener Sparkasse vom 24.4.2010 bis 29.5.2010.
1: Dipl.-Ing. Herbert Böhme, Stadtbaurat in Hagen von 1960-1979 (21.1.1917 – 20.4.1999)
2: Siehe separaten Zeitungsartikel vom 22.5.1968 in der Westfälischen Rundschau: